Julian David: Hey Joey, ich freue mich riesig, einem so verrückten Typen wie dir ein Interview führen zu dürfen. Du führst ein Leben der Extreme. Hattest du auch einmal ein extrem negatives Erlebnis, aus dem sich am Ende doch noch etwas Gutes entwickelt hat?
Joey Kelly: Auch so etwas kommt vor (lacht). Ich gebe dir ein Beispiel aus der Zeit der Kelly Family: Meine Geschwister und ich entsprachen damals nicht dem gängigen Klischee von Popstars. Wir feierten keine nächtelangen After-Show-Partys und konnten auch mit wilden Groupie-Geschichten nicht dienen. Im Gegenteil, bei uns gab es keinen Alkohol, keine Zigaretten und erst recht keine anderen Drogen. Wenn einer unserer Roadies etwas mit einem Fan angefangen hat, haben wir ihn raus geworfen. So wollten wir unsere Fans vor sich selbst schützen. Es gab nicht nur einen der dachte: „Wenn ich Paddy kennen lernen will, dann fange ich erst mal etwas mit dem Bodyguard an.“ Deshalb waren Beziehungen zu Fans bei uns tabu. Das galt auch für alle Mitarbeiter.
Julian David: Ich ahne was für eine Geschichte das gleich wird. Wir leben mit und lieben unsere Fans, aber einzelne durchbrechen hin und wieder Mal eine gewisse Grenze!?
Joey Kelly: Du lernst das ja auch gerade kenne. Er hieß Markus und war damals sechzehn Jahre alt. Innerhalb kurzer Zeit hat er sich erst vom Fan, zum hardcore-Fan, dann regelrecht zum Stalker entwickelt. Erst fing er harmlos an und machte ständig Fotos auf unseren Shows. Später kam er nicht mehr ins Konzert, sondern wartete nur am Backstage-Eingang, bis wir völlig geschafft heraus kamen. Genau auf diese Bilder hatte er es abgesehen. So privat wie möglich.
Julian David: Es gibt ja Fans, die scheinen mehr über dich zu wissen, als du selbst. Sie wissen in welchem Hotel du wohnst, welchen Weg du fährst und welches Restaurant du besuchst. Und wenn du ankommst, sind sie schon da.
Joey Kelly: Von Markus kamen wir uns regelrecht verfolgt vor. Sein Ziel war es, uns durch sein penetrantes Auftreten so weit provozieren zu können, dass einer von uns irgendwann mal austickte. So ein Foto hätte ihn zum Helden in der Szene gemacht. Er verkaufte er die Fotos auch, um sich seinen Fan-Irrsinn zu finanzieren. Aber diesen Gefallen taten wir ihm nicht. Er kassierte von uns zwar mürrische Blicke, aber sonst ignorierten wir ihn. Trotzdem merkte er, dass er sich so eine gewisse Aufmerksamkeit verschafft hatte. Er machte immer weiter und wurde Stück für Stück extremer.
Julian David: Und irgendwann kommt der Punkt, da kannst du nicht mehr einfach nur weg sehen ...
Joey Kelly: Ja, es kam der Tag, da reichte es mir. Wir hatten mit unserer Crew an einer Autobahnraststätte gehalten. Als ich an der Kasse stand, sah ich, wie er schon wieder mit der Kamera draußen an der Schaufensterscheibe hing. Was wollte er mit diesem Foto erzählen? „Joey Kelly dekadent: Zahlt Cola mit Hundertmarkschein!“ – oder „Whiskey-Cola im Tourbus? Die Kellys hängen an der Flasche!“?
Julian David: Oh ja, wilde Schlagzeilen. Da staunt man manchmal, was man in der Zeitung über sich selbst erfährt ...
Joey Kelly: Das war bei uns fast an der Tagesordnung. Ich ging zornig auf Markus zu und sprach ihn an. Das war für ihn eine völlig neue Reaktion. Sonst hatten wir ihn kaum eines Blickes gewürdigt und ihn verscheucht, wenn er uns wieder einmal zu nahe kam. Und das waren dann meistens auch die Fotos, die wir am nächsten Tag in der Zeitung sehen konnten. Ich sagte zu ihm: „Markus! Du hörst jetzt mit diesem Schwachsinn endlich auf und fängst an zu laufen! Ich werde dich coachen! Und in drei Monaten läufst du einen Halbmarathon!“.
Julian David: Da hast du den Spieß einfach mal umgedreht ...
Joey Kelly: Er hat das erste Mal Aufmerksamkeit bekommen. Das war es, was er immer wollte. Aber auf einer ganz anderen Ebene. Meine Einladung an ihn hatte nichts mit seinem Fan-Irrsinn zu tun, sondern mit Sport, und dem Erreichen eigener Ziele.
Julian David: Und wie hat er darauf reagiert?
Joey Kelly: (lacht) In seinen Blicken konnte ich erst blankes Entsetzen lesen, das sich dann in überwältigendes Staunen verwandelte. Er war regelrecht gerührt. Endlich kümmerte sich jemand ein bisschen um ihn. Ich habe ihm meine Nummer gegeben und gesagt, er soll jedes mal anrufen, nachdem er trainiert hat. Ich wollte jede Woche einen Bericht. Und so lernte auch ich Markus etwas besser kennen. Wie ich mir schon gedacht hatte, war er kein irrer Fanatiker, sondern eigentlich ein armer Tropf. Er hatte keine Freunde, und in der Schule hat er durch Abwesenheit geglänzt. Er war ständig auf der Suche nach Bestätigung, egal ob positiv oder negativ. Hauptsache er wurde wahrgenommen.
Julian David: Jetzt spannst du mich aber auf die Folter. Was hat Markus aus deinem Angebot gemacht?
Joey Kelly: Ein halbes Jahr später lief er in Hamburg seinen ersten Marathon und kam ohne große Probleme ins Ziel. Zwei Jahre und fünf Marathons später hat er seien Hauptschulabschluss nachgeholt und bekam eine feste Anstellung als Briefträger bei der Post. Heute ist er dreißig und führt ein geregeltes Leben. Er hat geheiratet und sein Abitur in der Tasche. Einmal im Jahr ruft er mich an, und wir tauschen uns über Wettkämpfe aus. Bei einem unserer letzten Gespräche erzählte er mir, dass er an einer Fernuniversität mit einem Jura-Studium angefangen hat. Er will jetzt Anwalt werden.
Julian David: Und wenn er dann als Anwalt Stalking-Opfer berät, wird er sicher einer der Besten, weil er weiß wovon er redet (lacht). Ich kann mir vorstellen, dass du ein wichtiges Puzzleteil im Bild seines Lebens sein wirst. Auf jeden fall eines, dass er sicher nie vergisst!
Immer wenn ich einem Menschen begegne, überlege ich mir, was ich ganz besonders an ihm mag. Wenn du ein Ziel hast, ist dir egal, wie schwer es ist. Wenn du auf dem Weg hinfällst, stehst du auf und gehst den nächsten Schritt. Das ist wirklich stark. Ich habe auch mitbekommen, wie du mit deinen Kindern umgehst. Das ist noch viel stärker. So einen Vater hätte ich mir immer gewünscht!
Joey Kelly, 1972 bei Toledo, Spanien, geboren, wurde als Bandmitglied der weltberühmten Kelly Family bekannt. Die Erfolge der irisch-amerikanischen Großfamilie, die als Straßenmusiker ihre Karriere begannen, sind legendär. Über zehn Jahre managte Joey Kelly als Geschäftsführer das Familienunternehmen. Heute widmet er sein Leben seiner Familie und dem Ultra-Sport. Er reist um die Welt, um sich den härtesten Wettkämpfen zu stellen. Dabei hat er unzählige Rekorde aufgestellt. Unter anderem absolvierte er die acht größten Ironman innerhalb von zwölf Monaten.